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Wo man singt

First 5 pages – Free Preview

Eine Sängerin. Eine Wissenschaftlerin. Gestrandet auf einem fremden Planeten.

Nach dem Absturz des Kolonieschiffs kämpft Lisa-Mari, Biophotonikerin und Musikerin, ums Überleben. Auf der Suche nach Erkenntnis – und Abstand von einem Streit mit ihrer Frau – stürzt sie in eine geheimnisvolle Höhle. Allein, verletzt und mit schwindenden Vorräten scheint ihr Schicksal besiegelt.

Doch dann antwortet jemand auf ihre Harfenklänge. Nicht Menschen, sondern die Einheimischen des Planeten – hochgewachsene, geheimnisvolle Wesen, die in Gesang und Summen miteinander kommunizieren. Zwischen Furcht und Faszination findet Lisa-Mari eine unerwartete Verbindung: Musik als Brücke zwischen den Welten.

Ein packender Science-Fiction-Roman über Liebe, Verlust, die Kraft der Musik – und die erste Begegnung mit einer außerirdischen Zivilisation.

Page 1

Lisa-Mari kam nur langsam wieder zu sich. In ihrem Kopf schien sich ein ganzes Schlagzeug-Ensemble auszutoben, so hämmerte und dröhnte es darin. Sie konnte nichts sehen, war sich aber nicht sicher, ob es daran lag, dass es dunkel war, ihre Augen nicht recht funktionierten oder sie sie einfach nicht aufbekam. So wie es sich anfühlte, lag sie mit dem Rücken auf einer harten Unterlage, möglicherweise Fels. Als sie vorsichtig die Arme bewegte, durchschoss ihren Rücken ein scharfer Schmerz, der schnell wieder nachließ. Sie drückte die Hände fest auf ihre Augen, fühlte, wie sie reflexartig die Lieder schloss, und drückte weiter, bis sie bunte Sterne sah. Gut, ihre Augen waren offen gewesen, und sie schien auch noch sehen zu können.
Wo war sie? Was war geschehen? Sie atmete tief durch, dann machte sie ein paar Atemübungen, die sie beruhigen sollten. Sie hielt nicht viel von dem esoterischen Geschwätz von Chakren und Energieflüssen, mit dem manche Besatzungsmitglieder sie mit fast schon religiösem Eifer nervten, wohl aber schätzte sie als Sängerin seriöse Entspannungs- und Atemtechniken, die Lampenfieber genau so senken konnten wie die aufkommende Panik, die sie gerade spürte. Und tatsächlich: Nach kurzer Zeit hatte sie sich soweit beruhigt, dass sie sich ihrer Situation stellen konnte. Wie war sie hierhergekommen?
Das Schlagzeug in ihrem Kopf war vom fortissimo zu einem mezzopiano übergegangen, und langsam kehrte ihre Erinnerung zurück. Sie war am Morgen vom Schiffswrack losgelaufen, um in freier Landschaft ein paar Experimente zur Wahrnehmung unter dem blauen Licht der Sonne auf diesem bisher namenlosen Planeten zu machen. Die Möglichkeiten in den Laboren, die nach dem Absturz des Schiffes noch funktionsfähig waren, hatte sie ausgeschöpft; nun wollte sie an einer höher gelegenen, von allen Seiten zugänglichen Stelle zu verschiedenen Tageszeiten unter diversen Einfallswinkeln Messungen vornehmen. Als promovierte Biophotonikerin wollte sie zudem ihre Hypothese überprüfen, ob die energiereiche Sonnenstrahlung die besondere Wachstumsgeschwindigkeit der einheimischen Pflanzen erklären könnte, von der einige Besatzungsmitglieder berichtet hatten.
Sie tastete vorsichtig um sich und atmete erleichtert auf, als ihre Fingerspitzen ihren Rucksack ertasteten. Langsam robbte sie sich an ihn heran und öffnete als erstes die Außentasche, in der sie ihre Taschenlampe verwahrte. Als die einer alten Grubenlampe nachempfundene Leuchte ihr warmes LED-Licht ausstrahlte, seufzte sie erleichtert auf und sah sich zunächst einmal um.
Die runde Höhle, in der Lisa-Mari halb aufgerichtet lag, bestand aus schwarzem Fels und hatte einen Durchmesser von etwa acht Metern. Boden und Wände waren so glatt, dass sie glänzten, und mussten entweder das Ergebnis von extrem lang andauernder Wassereinwirkung oder von künstlicher Bearbeitung sein. Nach oben zu verjüngte sich die Höhle, bis sie in etwa fünf Metern Höhe nur noch einen Durchmesser von etwa drei Metern hatte, was darüber war, konnte Lisa-Mari nicht erkennen.
Ihr Rucksack schien den Sturz gut überstanden zu haben, die automatische Trenneinrichtung hatte funktioniert und verhindert, dass sie darauf fiel und sich so verletzte. Aus einer der Außentaschen nahm Lisa-Mari eine Wasserflasche und trank durstig; sie musste sich zwingen, noch einen Rest zu lassen für später, sie hatte nur noch eine weitere Flasche. Dann lehnte sie sich an den großen Rucksack und versuchte sich zu erinnern, wie sie hierher gekommen war.

Page 2

Sie war sehr früh los gelaufen und … verflixt, sie hatte niemanden informiert. Nach dem Krach gestern mit Sabrina hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Jede hatte sich auf ihre Seite des Ehebettes geschoben und sie hatten einander den Rücken zugedreht. Und als sie heute noch vor dem Morgengrauen wach geworden war, hatte sie ihren Rucksack gepackt und war, immer noch wütend und frustriert, losgezogen. Niemand wusste, wo sie war. Oder hatte sie gestern etwas davon erwähnt?
Sie sah die Szene plötzlich vor sich: Sabrina, die sie aus blauen Augen anfunkelte, während sie ihr mit leiser, aber umso bedrohlich klingenderer Stimme Vorwürfe machte. Wie so oft kam ihre Frau ihr in diesem Moment vor wie eine Verkörperung einer keltischen Kriegsgöttin, mit ihrer fast weißen Haut und den roten langen Haaren, groß, stämmig und muskelbepackt. Im Hintergrund im Spiegel dagegen sie selbst: klein, zierlich, die Haut fast schwarz, das schwarze Haar wie immer auf wenige Millimeter gekürzt – ganz die Wissenschaftlerin und Musikerin. Pat und Patachon hatte die Kapitänin sie beide mal scherzhaft genannt und erklärt, das hätte ihre Oma immer gesagt, wenn ein ganz großer mit einem kleinen Menschen ein Paar gewesen sei. Das war als Kompliment gemeint gewesen, und sie waren ja auch ein tolles Paar. Oh, wie sie Sabrina liebte! Würde sie sie jemals wiedersehen? Würde sie hier herauskommen?
Einen Moment lang wurde ihr schwindlig, sie schloss kurz die Augen. Dann raffte sie sich auf, aß zwei Energieriegel und schaute nach, was sie heute morgen im Halbdunkel in ihrer Kabine und danach im Labor eingepackt hatte. Hinter einigen Messgeräten, die leider keine Verbindung zum Schiff hatten, und ihrem Notebook, das sich natürlich auch nur aus der Nähe ins Schiffnetz einloggen konnte, steckte, sorgfältig in ein dunkelrotes weiches Samttuch eingewickelt, ihre kleine Reiseharfe. Die hatte sie mitgenommen, um sich zwischendurch einen schönen Platz zu suchen und ein neues Lied zu komponieren – das half ihr immer, wenn sie emotional sehr aufgewühlt war. Doch aus dieser Höhle würde sie das Instrument wohl nicht bringen …
Sie packte die Harfe aus und stockte. In der kleinen Ledertasche mit dem Stimmschlüssel steckte noch etwas – ihr Liebesarmband, das sie gestern vor lauter Wut abgelegt hatte. Sabrina musste geahnt haben, was sie vorhatte, und hatte es für sie eingepackt! Lisa-Mari musste schlucken und konnte nur mit Mühe die Tränen unterdrücken. Sabrina wollte ihr damit nicht nur zeigen, wie sehr sie sie liebte, sondern sie auch finden können, um sich zu versöhnen, wenn Lisa-Mari sich beruhigt und abreagiert hätte. Leider würde ihr das hier nichts nützen – die beiden Armbänder waren zwar miteinander verbunden und konnten sich gegenseitig auch über größere Distanzen orten, aber in dieser Felshöhle gab es keine Verbindung; die drei roten Kommunikationssteine waren stumpf. Dennoch streifte sich Lisa-Mari das Armband über.
Sie legte die Harfe auf dem Tuch ab und machte sich endlich daran, die Höhle genauer zu untersuchen. Die Wände waren auch bei genauer Betrachtung so glatt, wie sie zunächst gewirkt hatten, und liefen nach oben zu; Lisa-Mari sah keine Möglichkeit, hier aus eigener Kraft herauszukommen. Es blieb ihr nichts, als zu warten; wenn man sie vermisste, würde man sie wohl suchen. Doch ob man sie hier finden würde? Wenn man rechtzeitig mit der Suche begann, konnte man ihren Spuren vielleicht mit Infrarot- und DNA-Spürern folgen, aber das musste bald geschehen. Und sie hatte keine Ahnung, wie das Loch, durch das sie gefallen sein musste, oben aussah; es war wohl gut verborgen, denn sie konnte sich nicht daran erinnern, auch nicht daran, wie sie hineingefallen war.
Sie hatte noch ein paar Energieriegel, aber nur noch eine weitere Wasserflasche; sie würde nicht all zu lange durchhalten. Sie war auf so etwas auch nicht vorbereitet, nicht wie Sabrina, die als Mitglied der Wachmannschaft körperlich in Höchstform war.

Page 3

Sie nahm die Harfe auf und strich zärtlich über das helle Holz. So weit sie wusste, war es das einzige Instrument in Privatbesitz, das noch aus gewachsenem Holz bestand und nicht im 3-D-Drucker entstanden war. Ihr Urgroßvater hatte es gebaut, sein Sohn den Drachenkopf geschnitzt; es war das einzige Erbstück, das ihrer Familie verblieben war. Nur weil diese kleine romanische Harfe weniger als ein Kilo wog, hatte Lisa-Marie sie mit an Bord nehmen dürfen. Sie begann, das Liebeslied zu spielen, das sie von ihrer Großmutter gelernt und für Sabrina umgedichtet hatte, in der Nacht, als sie ein Paar geworden waren.
Die Rose erblüht im Monat Mai;
meine Seele aber war betrübt und sehnte sich nach der Liebe.
Meine Seele aber war betrübt und sehnte sich nach Liebe.
Die Nachtigallen sangen von der Liebe;
meine Sehnsucht tötete mich fast und niemals endete der Schmerz.

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Meine Sehnsucht tötete mich fast und nie endete der Schmerz.
Doch du, meine Taube, bist gekommen zu mir,
mich zu retten aus der Einsamkeit, zu zeigen mir die Freuden der Liebe,
mich zu retten aus der Einsamkeit, zu zeigen mir die Liebe.
Wenn deine Stimme zärtlich um mich erklingt,
verändert sich der Ton der ganzen Welt, die mir in Liebestönen schwingt,

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verändert sich der Ton der ganzen Welt, die mir als Liebeston erklingt.
Die letzte Strophe, die sie dazu gedichtet hatte, wurde immer wieder von Schluchzern unterbrochen, nun ließ Lisa-Mari die Harfe sinken und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Es dauerte einige Minuten, bis sie sich wieder gefangen hatte, die Harfe vorsichtig niederlegte und ihr Notebook anschaltete.
Sie musste sich zusammenreißen. Sie würde hier wahrscheinlich sterben. Aber sie würde wenigstens alles genau dokumentieren, damit die Menschen, die sie hoffentlich einst finden würden, wussten, was ihr geschehen war. Zuerst aber würde sie einen Brief an Sabrina schreiben, ihr erklären, wie sehr sie sie liebte und wie unsinnig der Streit und ihre Eifersucht gewesen war.
»Sollen wir alle unsere Träume begraben, nur weil dieses Schiff hier gestrandet ist?«, hatte Sabrina gefragt. »Ich bin dazu nicht bereit. Wir wollten gemeinsam ein Kind auf der neuen Erde, und wenn dieser Planet nun unsere Heimat werden muss, dann will ich unser Kind hier bekommen und mit dir großziehen.«
Natürlich wollte auch Lisa-Mari ein Kind mit Sabrina, aber das Kühlgefäß mit den sorgfältig ausgewählten und eingefrorenen Spermien hatte den Absturz nicht überstanden. »Wir haben doch noch Zeit«, hatte Lisa-Mari also geantwortet. »Deshalb musst du doch nicht schon jetzt anfangen, mit deinen Kollegen zu flirten.«
»Du bist ja eifersüchtig«, hatte Sabrina gelacht. Und dann hatte ihre Stimme diesen kalten, gefährlich leisen Ton angenommen. »Wenn du mir nicht traust, wenn du Angst hast, ich könnte dich mit einem Mann betrügen, mehr damit verbinden als einen Vater für unser Kind zu suchen – liebst du mich dann überhaupt noch?«

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